Hier eine kleine Vorschau und eine Leseprobe:
Herr Konradi und Herr Klops (Weihnachtsgeschichte)
Es war einmal ein kleiner Mann. Der hieß Herr Konradi. Herr
Konradi hatte eine Schildkröte. Die hieß Herr Klops. Herr Konradi und Herr
Klops waren schon seit fünfundzwanzig Jahren zusammen. Herr Konradi arbeitete
tagsüber in einer Bank und studierte abends Betriebswirtschaft. Herr Klops
wohnte in einem großen Glasterrarium, das auf der Fensterbank in Herrn Konradis
Wohnung stand. In dem Terrarium war schöner heller Sand und ein kleines
Wasserbecken mit einer Wasserpflanze. In diesem Wasserbecken war Herr Klops
sehr gerne, denn er war eigentlich eine Wasserschildkröte.
Vor fünfundzwanzig Jahren, als Herr Konradi fünf Jahre alt
gewesen war, hatte er die Schildkröte zu Weihnachten von seiner Tante Ida
geschenkt bekommen. Herr Klops war damals noch sehr klein gewesen. Er hatte auf
einem roten Tuch in einer kleinen Pappschachtel gelegen. Als Herr Konradi die
Schachtel voller Spannung geöffnet hatte, war er sehr überrascht gewesen. Denn
er hatte nichts als eine kleine braune Kugel gesehen. Das Schildkrötenkind in
der Schachtel hatte natürlich Angst gehabt und sich in sein kleines Haus
zurückgezogen. „Was ist das denn?“ hatte Herr Konradi damals ausgerufen. „Das
sieht ja aus wie ein Klops!“ Und so war Herr Klops zu seinem Namen gekommen.
Bald schon zog ein Jahr nach dem anderen ins Land. Herr
Konradi wurde ein Schulkind, irgendwann ein Teenager, irgendwann ein Mann. Auch
an Herrn Klops ging die Zeit nicht spurlos vorüber. Er wurde größer und dicker
und dicker und größer und durfte nachmittags oft seine Runden in Herrn Konradis
Zimmer drehen. Im Sommer durfte er sich sogar völlig frei im Garten von Herrn
Konradis Eltern bewegen. Doch nachts und wenn Herr Konradi nicht zu Hause war,
musste Herr Klops in sein hübsches Glashaus zurück. Herr Klops war eigentlich
immer ganz zufrieden gewesen. So ließ es sich leben!
Doch irgendwann war eben nicht mehr alles so, wie es immer
gewesen war. Die Weihnachtszeit rückte mal wieder heran. Aber Herr Konradi
packte auf einmal zwei große schwarze Koffer und redete die ganze Zeit etwas
von „baguette“ und „cigarette“, von „depart“ und „au revoir“. Herr Konradi fing
nämlich an, französische Vokabeln zu büffeln und ging schon bald für ein ganzes
Jahr ins Ausland, nach Paris nämlich, um dort sein Betriebswirtschaftsstudium
abzuschließen und um seine französischen Sprachkenntnisse zu verfeinern. Herr
Klops blieb verständnislos zurück. So etwas hatte er über all die Jahre noch
nie erlebt! So lange hatte er in seinem Glasterrarium bei Herrn Konradi gelebt
und plötzlich war dieser nicht mehr da! Eine Katastrophe war das. Natürlich
hatte Herr Konradi seine Eltern beauftragt, sich um Herrn Klops zu kümmern,
doch dieser verstand schon bald die Welt nicht mehr. Irgendwie noch so gerade
hatte er es ja toleriert, dass man ihn mitsamt seinem großen Glaskasten ins
Auto trug und in das Haus von Herrn Konradis Eltern verfrachtete. Aber dass er
auf einmal in einer dunklen Ecke stehen sollte, einen Gartenzwerg zu seiner
Linken und eine komische Zinngießkanne zu seiner Rechten und er plötzlich auch
sein Lieblingsfutter nicht mehr bekam, das ging ihm schon ziemlich gegen den Strich.
Herr Konradis Eltern merkten natürlich, dass Herr Klops sich
nicht bei ihnen wohl fühlte und kamen irgendwann auf die Idee, ihn an die
kleine Großcousine auszuleihen. Die hatte ihre helle Freude und steckte Herrn
Klops in Puppenkleidchen oder fuhr ihn den ganzen Tag in ihrem kleinen
Puppenwagen herum.
Und dann war es mal wieder so weit: Die Weihnachtszeit kam
heran. Alle waren sehr beschäftigt. Ein Weihnachtsbaum musste besorgt werden.
Die kleine Großcousine übte täglich und stundenlang Weihnachtslieder auf der
Blockflöte. Jedes Fenster wurde geschmückt. Alles wurde geputzt und gewienert.
Und - alle im Haus waren sehr, sehr beschäftigt. Und als sich dann irgendwann
die erste Gelegenheit bot, da lief Herr Klops einfach weg. Er lief einfach weg.
Ganz weit weg. Denn er hatte gestrichen die Nase voll gehabt. Er war doch keine
Puppe! Und so lief und lief er immer der Nase nach, erst aus dem Haus heraus,
dann aus dem Garten und dann den kleinen Feldweg entlang, immer, immer weiter.
Er lief mal langsam und mal schnell.
Anfangs genoss Herr Klops natürlich die ungewohnte Freiheit.
Endlich konnte er wieder tun und lassen was er wollte. Doch dann fing es an zu
schneien. Eine kleine weiße Schneeflocke nach der anderen fiel vom abendlichen
Himmel herab und Herrn Klops wurde auf einmal mächtig kalt. Irgendwann wurde er
mächtig müde. Und so kroch er in letzter Kraft zum Wegesrand, zog sich in sein
gemütliches Schildkrötenhaus zurück und schlief ein.
Am nächsten Morgen sollte endlich Weihnachten gefeiert werden
und pünktlich zum Fest kehrte auch Herr Konradi wieder aus Paris zurück. Herr
Konradi kam nicht allein. Er brachte Caroline mit, und neben vielen Geschenken
für die ganze Familie auch einen großen Futterkorb mit französischen
Leckereien. Und natürlich ein besonderes Geschenk für Herrn Klops. Doch wie
groß war Herr Konradis Entsetzen, als er nach der ersten Wiedersehensfreude
erfahren musste, dass Herr Klops gar nicht mehr da war!
Scheinbar niemand im Haus konnte sich erklären, wo Herr Klops
abgeblieben war. Er war irgendwann am Abend zuvor verschwunden. Er war einfach
weg gewesen. Als die kleine Großcousine ihn nämlich am Abend zuvor aus ihrem
Puppenwagen herausnehmen wollte, um ihn wieder in seinem Glaskasten zu setzen,
hatte sie ihn nirgends finden können. Herr Klops war weg und obwohl ihn die
ganze Familie eine Zeitlang gesucht hatte, blieb er verschwunden. „Na, der wird
schon wieder auftauchen“, dachten sich alle und gingen ins Bett.
Aber am nächsten Morgen war Herr Klops immer noch nicht da.
Es hatte die ganze Nacht geschneit und ein zauberhaftes Weiß umhüllte die ganze
Landschaft. Aber Herr Konradi war todtraurig und die Weihnachtsstimmung wollte
einfach nicht aufkommen. Zu lange schon hatte die Schildkröte Herr Klops zu
seinem Leben gehört. Nach dem Kaffeetrinken beschloss Herr Konradi ein wenig
hinauszugehen, um sich die Beine zu vertreten. Er nahm auch Caroline nicht mit.
Er wollte einfach allein sein und stapfte hinaus in die frühwinterliche, weiße
Landschaft.
Als er so schon eine ganze Weile in der nachmittäglichen
Dämmerung gegangen war, stolperte er auf einmal und wäre fast hingefallen. Herr
Konradi wurde ziemlich wütend. Erst wollte er einen unangenehmen Laut von sich
geben – und zwar einen höchst unangenehmen Laut - da bückte er sich und traute
seinen Augen nicht! Das, worüber er gerade gestolpert war, das war kein Stein.
Das war doch Herr Klops! Es war wirklich Herr Klops. Er hatte die ganze Nacht
ganz allein auf dem Feldweg weit hinterm Haus verbracht! Herr Konradi konnte
nur mit dem Kopf schütteln. Es war wirklich unglaublich. Tränen der
Erleichterung liefen ihm die Wangen herunter und er konnte es viele, lange
Minuten überhaupt nicht fassen. Doch dann fasste er sich doch wieder, hub Herrn
Klops, der ganz verfroren war, zaghaft auf, steckte ihn in seine warme
Manteltasche und ging - glücklich ein altes Weihnachtslied pfeifend - langsam
nach Hause. Nun wurde es doch noch ein schönes Weihnachtsfest!
Alle freuten sich natürlich und waren erleichtert, dass Herr
Klops wieder da war. Dieser wurde sofort in einen kleinen Korb auf eine weiche,
frottierte Wärmeflasche gesetzt und schön zugedeckt. Denn Wasserschildkröten
mögen es eigentlich lieber immer etwas warm. Besonders erleichtert und froh war
natürlich Herr Konradi. Vor allem auch darüber, dass sich sein langer
Aufenthalt in Paris in jeder Hinsicht gelohnt hat: Caroline war nun an seiner
Seite. Von seiner Bank war er befördert worden und auch Herr Klops war wieder
da!
Bald nahmen die Tage erneut ihren gewohnten Lauf. Weihnachten
war vorbei. Auch Sylvester und Neujahr. Die ersten Januarwochen zogen vorüber.
Herr Klops war wieder glücklich. Er lebte in seinem Glaskasten auf der
Fensterbank in Herrn Konradis Wohnung und wenn er es anfangs noch komisch
gefunden hatte, dass Herr Konradi in seiner Wohnung nun nicht mehr alleine
wohnte, so hatte er sich doch ziemlich schnell an Caroline, der neuen Freundin
aus Paris, gewöhnt. Schließlich wurde er nun mit französischer Feinkost
verwöhnt und er war auch – und das war ihm noch viel wichtiger - keine normale
Schildkröte mehr. Nein! Er hieß jetzt „Monsieur Tortue“ und auch er hatte jetzt
eine kleine Gefährtin! Eines schönen Nachmittags im späten Januar nämlich hatte
Caroline einfach eine zweite Schildkröte in sein Zuhause gesetzt: „Petite Babette“. Die lebte nun mit ihm zusammen in
dem neuen, noch größeren Glaskasten. Ja, tatsächlich, so ließ es sich leben!
Und so lebten sie dann alle vier glücklich zusammen, feierten
noch viele schöne Weihnachtsfeste und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben
sie noch heute…